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Zurück auf dem Court, mit frischen Tönen

Um mich herum wird es ganz still, Live-Musik ertönt. Der deutsch-spanische Sänger Alvaro Soler tritt auf die improvisierte Bühne und führt mich in die Welt der Musik. In Gedanken versunken schweift mein Blick langsam über die Szenerie und öffnet mir plötzlich die Augen für die Realität. Ich befinde mich nicht an einem Konzert, sondern an einem Sportanlass, den Swiss Indoors Basel.


Nach zweijähriger Coronapause gehen in der St. Jakobshalle Basel erneut die Türen für die Weltstars des Tennissports auf. Vom 22. bis 30. Oktober 2022 finden dort die Swiss Indoors im Rahmen der ATP Tour 500 statt. Das Hauptturnier startet am 24. Oktober mit dem Super Monday und weist eine Top-Besetzung auf. Deshalb müssen jene Spieler, welche ausserhalb der ATP-Rangliste von eins bis 50 klassiert sind, am Wochenende vorher bei Qualifikationsspielen für die Teilnahme am Hauptturnier kämpfen. Vier Qualifikanten schliessen sich dem Hauptfeld an und erlangen die Möglichkeit, an den kommenden Tagen gegen die Weltklasse des Tennis-Sports anzutreten.


(St. Jakobshalle Basel, Aussenansicht)


Der Spieler, welcher auch am hiesigen Turnier die Herzen der Zuschauenden jeweils mühelos erobert hatte, gab vergangenen Herbst ja seinen Rücktritt bekannt. Ein Schock für die Fans. In der Halle ertönt der Ruf «Let’s go Roger, let’s go!» nicht mehr. Nun haben die jungen Spieler die Chance, an den Swiss Indoors Basel ihr Können und ihre Ambitionen unter Beweis zu stellen.


Kein gewöhnlicher Montag

Der Super Monday startet um 11.45 Uhr. Ab ca. 13.00 Uhr beginnen die Spiele auf dem Center Court. Neben dem Center Court gibt es auch noch den Court 1. Auf diesem finden am Abend, nach der Opening Ceremony, ebenfalls zwei Spiele statt. Dort erlebt man die Spieler hautnah, denn die Plätze sind unnummeriert und frei wählbar. Bis zur Opening Ceremony sind auf dem Center Court zwei Spiele zu sehen. Die Opening Ceremony soll eigentlich um 17.30 Uhr starten. Aufgrund des vorangehenden Matches zwischen dem US-Amerikaner Brandon Nakashima (Weltplatzierung 44) und dem Belgier David Goffin (Weltplatzierung 53) verzögert sich der Zeremoniebeginn jedoch. In der Arena auf dem Center Court befördern die beiden Solisten den Filzball mit wechselnden Schlagtechniken, in hohen Bögen (Topspins) oder messerscharf mit durchschnittlichen Aufschlags-Geschwindigkeiten von 190 bis 210 km/h, über das Netz. Gewöhnungsbedürftig ist das Fehlen der Linienrichter und Linienrichterinnen. Diese standen in den vergangenen Jahren jeweils am Spielfeldrand. In einer unbequem aussehenden, nach vorne gebeugten Haltung beobachteten sie den Ball: Landet er innerhalb, ausserhalb oder auf der Linie des Feldes? Die Linienrichter und Linienrichterinnen wurden unterdessen durch künstliche Intelligenz (Hawk-Eye) ersetzt. Auf dem Spielfeld anzutreffen sind neu lediglich die Spieler, die Ballkinder und der Schiedsrichter oder die Schiedsrichterin. Nach drei Sätzen entscheidet der US-Amerikaner das Spiel auf für sich. Die Türen der Arena werden geöffnet und die Zuschauermassen strömen ins Foyer hinaus. An verschiedenen Verpflegungsständen stillen die Zuschauenden ihren Hunger und löschen ihren Durst. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass die angebotenen Speisen mehr Schein als Sein sind. Beim Kauen der zu sauren asiatischen Nudeln fühlt es sich so an, als würden sich meine Geschmacksknospen zusammenziehen. Da lohnt es sich, in den nahe gelegenen Coop Pronto zu marschieren und sich dort zu verköstigen.


(links: Logo aus echten Blumen / rechts: Aufbau des Center Courts)


Eine Durchsage ertönt, um die Besucher und Besucherinnen des Super Mondays auf den Start der Zeremonie aufmerksam zu machen. Kaum haben alle ihre Plätze in der Arena eingenommen, werden die Eingänge zu den verschiedenen Sektoren geschlossen. Wer zu spät kommt, hat Pech und muss die Zeremonie auf den Monitoren im Foyer verfolgen. Die Platzanweisenden stehen an den Sektor-Eingängen und verhindern, dass sich jemand verspätet in die Halle schleicht. Währenddessen sorgt die Begrüssungsansage des Speakers Christoph Schwegler in der Arena für einen Gänsehautmoment. Mit seiner tiefen und warmen Bariton-Stimme gewinnt er die volle Aufmerksamkeit des Publikums – für mich ist das bereits ein erster «Show-Act». Die Halle wird verdunkelt. Langsam verstummt das Raunen in der Zuschauermenge und alle Augen sind gespannt auf den Center Court gerichtet, die Stille macht bekanntlich die schönste Musik.


Mit dem Lied «Pirates oft the Caribbean», gespielt vom Christoph Walter Orchestra, wird die Zeremonie eingeleitet. Das ist, laut dem Sicherheitschef, aus sicherheitstechnischen Gründen ein heikler Moment. Das gesamte Equipment und die Mitwirkenden müssen nämlich durch den Notausgang Süd in die Arena gelangen. Der Center Court dient nun kurzfristig als improvisierte Bühne. Das Orchester ist auf der einen Seite des Netzes auf einem roten Teppich arrangiert. Dieses Orchester bildet den musikalischen Rahmen der ganzen Zeremonie. Das Lied «Conquest of Paradise» begleitet die Fahnenparade mit den Ballkindern. Die Buben und Mädchen rennen im Takt der Musik, mit den Flaggen der am Turnier beteiligten Nationen, auf den Center Court. Insgesamt sind 17 Nationen am Turnier vertreten. Die Ballkinder stellen sich in Reih und Glied auf. Geprobt wurde die Fahnenparade am Sonntag nach dem letzten Qualifikationsspiel. Auf jedem Ballkind lastet ein gewisser Druck, denn würde bei dieser Parade etwas schieflaufen, wäre sie wirkungslos. Es gilt also: Auf keinen Fall stolpern! Damit wird den Ballkindern eine wichtige Aufgabe zugeteilt. Wie die Ballkinder da so strammstehen, platzen sie fast vor Stolz. Ihre Augen funkeln vor Freude, ein Teil des Turniers zu sein. Sie sind einheitlich gekleidet. Die Kombination aus grünem Sportshirt und grauer Hose wirkt in meinen Augen wenig stilvoll. Beim Erscheinen der Flaggen ertönt aus dem Publikum lautes Klatschen. Manche Nationen ernten einen grösseren Applaus als andere.


Nach der Parade wird in der einen Ecke des Courts ein Rednerpult platziert. Der Turnierpräsident Roger Brennwald tritt auf den Platz. Das Scheinwerferlicht begleitet seine Schritte bis zum Rednerpult. Dort angekommen, bestrahlt ihn ein Lichtkegel. Die ganze Aufmerksamkeit wird somit auf ihn gelenkt. Man könnte meinen, er wäre neu in diesem Business. Seine Rede ist auf einem Blatt Papier vorgeschrieben. Fast Wort für Wort liest er den Text ab. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren ist jedoch eine gewisse Steigerung in Bezug auf den Inhalt der Rede feststellbar. Dank etwas Witz und guten Formulierungen kommt die Rede diesmal leichter daher und die einzelnen Elemente sind miteinander im Einklang. Über die formulierten Witze muss Roger Brennwald selber lachen. Aus meiner Sicht ist dies kein sonderlich professionelles Auftreten. Er erklärt in seiner Rede: «Jetzt stehen wir mitten im Epizentrum einer stürmischen Epoche im Welttennis, und zwar mit einer sagenhaften, nicht mehr aufzuhaltenden Welle der Next Generation!» Mit diesem Satz begrüsst er unter anderem den neunzehnjährigen Carlos Alcaraz, die spanische Weltnummer eins. Passend dazu bestreitet der sympathische deutsch-spanische Sänger Alvaro Soler im Anschluss an die Rede den Hauptteil der Zeremonie mit seiner Show.


(links: Alvaro Soler / rechts: Christoph Walter Orchestra)


Tennisspiel oder Konzert?

Alvaro Soler begrüsst das Publikum mit ein paar kurzen Sätzen, die Zuschauenden applaudieren. Der Sänger performt und singt seine spanischen Lieder auf dem Center Court lebendig. Mit dem Lied «Magia» eröffnet er seine Darbietung. Er singt insgesamt vier Lieder. Das Publikum tut sich mit der spanischen Sprache etwas schwer und lässt sich kaum zum Mitsingen animieren. Davon lässt sich der Profi nicht beirren und verbreitet trotzdem eine heitere Stimmung in der Arena. Die Idee, dass der poppige Sound des jungen Sängers die «Next Generation» der Tenniswelt repräsentiert, finde ich passend. Idealerweise bräuchte es dazu auch noch zahlreiche junge Turnierbesuchende. Jedoch besteht die gemischte Tennis-Klientel zu einem grossen Teil aus älteren Damen und Herren, die sich zwar die teuren Tickets leisten können, aber nicht restlos von dieser Musikrichtung begeistert sind. So fällt auch ihr Hüftschwung eher verhalten aus. Um die leeren Ränge zu füllen, wurden kurzfristig Tickets an Sportstudierende verschenkt. Diese können sich die teuren Tickets wahrscheinlich mehrheitlich nicht leisten. Sie beherrschen jedoch den Hüftschwung umso besser und es kommt doch noch Partystimmung auf. Die Opening Ceremony dauert ca. 40 Minuten. Das Schweizer Fernsehen zeichnet die Zeremonie auf.


Im Einklang mit Schläger und Ball

Nach Christoph Schweglers Abmoderation wird der Center Court für das folgende Spiel vorbereitet. Der zwanzigjährige Engländer Jack Draper fordert die momentane Weltnummer eins, Carlos Alcaraz aus Spanien, heraus. Die Weltnummer eins, mit 19 Jahren kaum im Erwachsenenleben angekommen, steht mit einer Siegessicherheit und Selbstüberzeugung auf dem Center Court. Das Spiel der beiden Newcomer bleibt bis zum Ende spannend. Mit einer Leichtigkeit fliegt der Filzball über das Netz. Beobachtet man die Zuschauermengen, bewegen sich die Köpfe, wie der Zeiger eines Metronoms, gleichmässig von der einen Seite zur anderen. Tausende von Augenpaaren verfolgen die Bewegungen der Spieler, ihre Schläge und die Flugbahn des Tennisballs. Je länger der Ballwechsel dauert, desto mehr steigt die Spannung. Jack Draper gewinnt den ersten Satz mit sechs zu drei. Alcaraz wirkt nun etwas nervös und befördert im zweiten Satz seine Bälle mit einer eindrücklichen Präzision über das Netz. In diesen Momenten zeigt er sein enormes Potential und bestätigt seine Position als Weltnummer eins. Wie so schön gesagt wird: Man muss nicht immer die erste Geige spielen, doch wissen, wo die Musik spielt! Somit besiegt Alcaraz den Engländer im zweiten Satz mit sechs zu zwei. Dieser Spielstand fordert einen entscheidenden dritten Satz.


(Center Court ohne Linienrichter und Linienrichterinnen)


Die Spannung steigt

Nun gilt es für die Newcomer, die Nerven zu bewahren. Es ist lange ein Kopf an Kopf-Rennen. Draper und Alcaraz spielen beide sehr stark. Wer nun «cooler», fehlerfrei und zu 100 Prozent mental fokussiert bleibt, ist im Vorteil und gewinnt wohl den Match. Sie sind einander dicht auf den Fersen. Im letzten Satz steht es fünf zu vier für Alcaraz. Nun schlägt Draper auf. Schafft Alcaraz einen Servicedurchbruch, entscheidet er den Match für sich. Draper gleicht jedoch aus, es steht fünf zu fünf. Nun ist der letzte Satz nicht mit dem Erreichen von sechs Games beendet, sondern muss auf sieben gewonnene Games verlängert werden. Um einen Satz gewinnen zu können, braucht es nämlich einen Mindestabstand von zwei Games. Bis zum Spielstand fünf zu fünf im letzten Satz gewinnt jeder Spieler sein Aufschlagspiel. Das Publikum fiebert mit. Bei jedem Punktgewinn jubelt und bei jedem Fehlschlag zittert es, so als würde jede und jeder selbst auf dem Feld stehen. Während Draper die Bälle fast lautlos über das Netz schmettert, gibt Alcaraz mit jedem Schlag einen Atemlaut von sich, er singt so sein eigenes Lied. Macht einer der Spieler einen Fehler, ertönen aus dem Publikum, wie aus einem Chor, die Laute «uhhh», «ohhh», «uff», «ahhh». Dafür braucht es keinen Dirigenten, der die Zuschauenden orchestriert. Bei jedem Punktgewinn setzt das Publikum harmonisch mit diesen Klängen ein. Es scheint so, als hätten einige der Zuschauenden während dem Match ihren Favoriten gewechselt und nun ihre Hoffnung auf Draper gesetzt – möge dieser Nervenkitzel noch möglichst lange dauern. Ich sitze, umgeben von Sportstudierenden, auf der Tribüne. Aus ihren Kommentaren entnehme ich eine Würdigung der weltklassigen Leistungen der beiden Tennisspieler. Neben mir ertönen die Sätze: «Ich gönn dr Siig voll im Draper.», «Es wär voll spannend, wenn dr Draper gwünne würd.», «Dr Alcaraz chunnt scho chli ins Schwitze.»


(Carlos Alcaraz schlägt auf)


Game, Set and Match

Alcaraz behält die Nerven, schafft einen Servicedurchbruch und siegt im drauffolgenden Aufschlagsspiel mit sieben zu fünf. So gewinnt er in einem knappen Rennen den Entscheidungssatz. Jack Draper wird verabschiedet. Er erntet einen grossen Applaus. Die Weltnummer 45 kämpfte sich, wie der Ton auf einer Tonleiter, nach oben (getreu dem Motto: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren). Er hat sichgegen die Weltnummer eins wacker geschlagen. Obwohl auch Jack Draper den Sieg verdient hätte, wäre das frühe Ausscheiden der Weltnummer eins enttäuschend gewesen. Der 19-jährige Alcaraz musste auf dem Indoor-Hartbelag mit Startschwierigkeiten kämpfen – aller Anfang ist schwer. Schlussendlich entscheidet er das Spiel glücklich für sich. Es ist faszinierend, was diese beiden jungen Männer leisten. Kaum erwachsen, stehen sie auf der Weltbühne des Tennis und lassen erfahrenere Spieler neben sich alt aussehen. Nach seinem Sieg gibt Alcaraz ein kurzes Interviewe auf Englisch. Folgende Aussage bleibt in meinem Kopf hängen: «Ich hatte bislang keine Zeit, die Nummer eins zu geniessen.» Alcaraz ist ein junger Mann in meinem Alter, welcher in einer anderen Welt lebt und das geschafft hat, wovon viele träumen.


Mit diesem Spiel ist der Abend jedoch noch nicht beendet. In einem weiteren Match duellieren sich der Kroate Marin Cilic und der Franzose Arthur Rinderknech (Achtung: Ohne «T» am Schluss!). Vor dem Spielbeginn lichten sich leider die Reihen auf der Tribüne. Kaum schwindet die Zahl der Zuschauenden, verliert die Atmosphäre an Glanz. Rinderknech (Weltnummer 51) gewinnt den ersten und letzten Satz und schlägt somit die Weltnummer 16. Die hartgesottenen Tennisfans bleiben bis zum Schluss, um Cilic klatschend zu verabschieden und Rinderknech zum Sieg zu applaudieren.


Das Foyer leert sich, nur noch vereinzelt schwirren Tennisfans umher. Sie strahlen Zufriedenheit und Müdigkeit aus. Auch für mich wird es Zeit, nach Hause zu gehen. Auf dem Weg zum Ausgang erblicke ich verschiedene Werbestände. Passend zum Sport werden Schuhe beworben und Tennisschläger neu bespannt. Die spanischen Rhythmen begleiten mich dabei. Mit mir entfernen sich nun auch die letzten Tennisfans von der St. Jakobshalle. Der Super Monday, eine Mischung aus poppigen Klängen und sportlichem Nervenkitzel, läutet die Turnierwoche zum 50. Mal ein.


(St. Jakobshalle Basel, Aussenansicht)

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